Volkssport "Arrastre"Der Kampf mit dem Rind | | © tfpelmarw | | | 10.06.2006 - Teneriffa - Festtagsstimmung herrscht an diesem Sonntagnachmittag auf dem Festplatz im Stadtteil San Benito am Rande der Altstadt von La Laguna an der Strasse nach Las Mercedes. Hier findet eines der "Arrastre del Canado" genanntes traditionelles Rinderennen statt. Kanarische Folklore schallt aus den Lautsprecherboxen. Vor den Tresen der Essens- und Getränkestände haben sich lange Schlangen gebildet.
| | © tfpelmarw | | Gebannt verfolgen die fachkundigen Zuschauer die Wettkämpfe | Männer, Frauen und Kinder warten auf die Ausgabe von Speis und Trank oder sitzen bereits an langen Klapptischen und -bänken aus Holz, verzehren genussvoll das Fleischgericht Carne Fiesta vom Pappteller. Der obligatorische Wagen des Eisverkäufers ist auch vor Ort. So wie hier geht es in vielen Orten Teneriffas an einem oder mehreren Wochenenden im Jahr zu. An diesem Nachmittag findet ein „Arrastre del Ganado“-Wettbewerb mit angeschlossener Viehmesse statt. Über hundert Rinder können auf einem Nebenplatz begutachtet werden. Einige von ihnen liegen dösend in der Sonne. Interessierte Landwirte betrachten kritisch die umher tollenden Zicklein oder gackernden Hühner in den aufgebauten Gehegen. Einige Bauern durchpflügen mit Rindergespann und Egge einen improvisierten Acker. Noch heute werden die Kartoffelfelder in den mittleren Lagen Teneriffas mit dem traditionellen manuellen Pflug kultiviert, wenn Maschinen mangels geeigneter Zufahrten nicht eingesetzt werden können. Zentrum des Geschehens ist der „Arrastre“-Parcours“.
| | © tfpelmarw | | Ein Kampf gegen die Uhr |
Dichtgedrängt stehen die Zuschauer an den begrenzenden Geländern und verfolgen gespannt den Wettbewerb. Viele der Besucher sind gestandene Mannsbilder an deren Gesichtern die harte tägliche, Arbeit im Kuhstall und auf dem Acker abzulesen ist. Die Teilnehmer sind kernige Burschen. Mit der Bierflasche in der Hand beobachten sie das Geschehen auf dem Turnierplatz und verfolgen mit kritischem Blick den Auftritt ihrer Rivalen oder gehen in Gedanken den Parcours noch einmal durch, bevor sie selbst an der Reihe sind. Die Aufgabe der Akteure ist es, mit einem Rinderzweigespann, das eine Last hinter sich herzieht, einen siebzig Meter langen Parcours zu absolvieren. Dabei muss auf halber Strecke eine Tonne umrundet werden, die nicht berührt werden darf.
| | © tfpelmarw | | Die Zuglast wird vertäut |
Eine weitere Bedingung ist, dass die Tiere während des Wettbewerbs nicht geschlagen werden. Darüber wacht auf halber Strecke ein Schiedsrichter. Auf Höhe der Start - und Zielliinie befindet sich der Tisch der Kampfrichter. Dort wird die Zeit gemessen und anschließend über Lautsprecher bekannt gegeben. „Arrastre del Ganado“ lässt auf Deutsch ungefähr mit „Schleifen des Viehs“ übersetzen. Es ist ein Sport, der sich aus der traditionellen Lebensweise auf den Kanarischen Inseln herleitet. In Regionen mit unsicherem Untergrund, in denen Wagen mit ihren Rädern stecken geblieben wären oder auf holprigen, mit Schlaglöchern übersäten Strassen und Wegen, wurden einst Baumaterialien und Waren auf Paletten herbeigeschafft, die von Rindern gezogen wurden.
| | © tfpelmarw | | Nicht immer spurt das Gespann |
In den fünfziger Jahren wurden Arrastre-Vorführungen Bestandteil vieler Dorf- und Stadtfeste. Bei der Fiesta del Cristo de La Laguna sind sie bereits seit 1949 fester Bestandteil, andere Gemeinden folgten diesem Beispiel. 1989 wurde der erste Arrastre-Verband gegründet, der sich vor acht Jahren in die heutige „Federación de Arrastre Canario“ (FAC) umbenannte, eine Organisation, die die Wettbewerbe organisiert, die Kosten für die Anreise übernimmt und die Siegprämien ausschüttet. Auch auf den Inseln La Palma und Gran Canaria finden Arrastre-Wettbewerbe statt. Die Regeln sind die gleichen wie auf Teneriffa, allerdings wird ein anderes Kopfgeschirr verwendet. Seit sechzehn Jahren gibt es eine kanarische Arrastre-Meisterschaft, bei der sich die Besten der drei Inseln messen, die zuvor auf den einzelnen Inseln im Rahmen einer Turnierserie ermittelt wurden.
| | © tfpelmarw | | Arrastre-Impression: Früh übt sich was ein Großer werden will |
Neben Schauveranstaltungen finden auf Teneriffa im Jahr zwölf Wettkämpfe statt. Dort treten die Bewerber mit ihren Gespannen in verschiedenen Kategorien, Gruppen und Tierklassen an, für die sie bei der Jahreshauptversammlung nominiert wurden. Die Rinder werden dabei nach Geschlecht und Gewicht eingeteilt. Kühe, Stiere und Bullen treten in drei verschiedenen Gewichtsklassen an. Die stärksten Stiere müssen eine Last von elf Säcken á 100 Kilogramm vorwärts bewegen, bei den schwächsten Kühen sind es nur sechs Säcke. Hinzu kommt die 200 Kilogramm schwere Palette. Die Teilnehmer treten in verschiedenen Gruppen an, da die Zahl der Interessenten die Dauer eines Nachmittags überschreiten würde.
| | © tfpelmarw | | Wettkampf in San Benito |
Derzeit werden sechs Rennen pro Gespann absolviert. Wie in der Formel 1 wird der Jahressieger mittels einer Punktwertung ermittelt, wobei der Tagessieger entsprechend der Teilnehmerzahl die meisten Punkte erhält. In der Regel finden die Wettbewerbe auf einem Sandplatz statt; wenn keiner vorhanden ist weicht, man schon mal auf eine Asphaltstrasse aus. In Garachico wird der Wettbewerb sogar auf dem Kopfsteinpflaster der Mole des Hafens ausgetragen. Die besten Gespanne absolvieren den Parcours in zwanzig bis fünfundvierzig Sekunden, wenn es keine Komplikationen gibt. Sollten die Tiere zu scheuen beginnen, ist das Fingerspitzengefühl des Gepannführers gefragt. Berührt ein Gespann die Tonne, gibt es einer Wiederholungsversuch. Das Reglement sieht außerdem einen Strafkatalog vor, der von Ermahnungen über Punktabzüge bishin zur Disqualifikation reicht. Ein Gespann das länger als drei Minuten im Wettkampfparcours verweilt, fällt automatisch aus der Punktewertung.
| | © tfpelmarw | | Oftmals finden paralell zu den Arrastre-Wettbewerben Viehmessen statt |
Seit aus dem „Arrastre del Ganado“ ein organisierter Sport geworden ist, nehmen nicht nur, wie einst, traditionelle Viehzüchteran den Veranstaltungen teil, jetzt treten auch verstärkt Hobby-Bauern an, die nur vier oder fünf Kühe haben und sich und die Tiere professionell auf den Wettbewerb vorbereiten. Training für den Wettkampf ist unablässig, denn während des Wettkampfs muss das Gespann die Ruhe bewahren. Das klingt einfacher als es ist, denn der Wettbewerb findet vor einer ungewohnten Kulisse statt. Nicht auf einem ruhigen Acker, wo bestenfalls die Vögel zwitschern, sondern auf einem lärmigen Volksfest, wo laute Musik aus den Laustsprecherboxen plärrt. Trotzdem müssen auch hier die Tiere ihren gewohnten Rhythmus finden und einhalten.
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