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Inseln als Forschungsgegenstand

Grenzwärtig

Eine Sphinx voll rätselhafter Wesen
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Eine Sphinx voll rätselhafter Wesen
20.04.2010 - Teneriffa - Was ist eine Insel? Was zeichnet sie aus? Woran erkennt man sie? Was ist anders an ihr? Die “Revista de Occidente”, eine Zeitschrift im Buchformat von Intellektuellen für Intellektuelle, die 1925 vom wohl bedeutendsten spanischen Philosophen der Neuzeit, José Ortega y Gasset, begründet, widmete dieser Fragestellung im vergangenen Jahr eine ganze Ausgabe. Bekannte Autoren wie Umberto Eco oder der Philosoph Peter Sloterdijk sind in der dort vertreten.

Inselattribute: In Kitsch, Kunst und Kommerz gehören Piraten einfach dazu
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Inselattribute: In Kitsch, Kunst und Kommerz gehören Piraten einfach dazu
Der Focus der Insel-Edition der “Revista de Occidente” liegt auf den Kanaren. Das erstaunt nur auf den ersten Blick.
 
Die Themenwahl geht auf eine Initiative von Professoren der Universität La Laguna zurück.
 
Ziel ist es, das Wesen der Insel als Ganzes zu erfassen und aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.
 
Wissenschaftler verschiedener Disziplinen haben sich an dem Projekt beteiligt, damit möglichst viele Facetten des gewählten Gegenstandes abgedeckt werden.
 
Inhaltlich geht es weniger um die Insel als naturwissenschaftlich-geographische Tatsache, sondern um Zusammenhänge und Bedeutungen die mit besagten kleinen abgeschlossenen Landflächen in der unendlichen Weite der  Meere verbunden werden. 

Die Insel als Schutzraum: Galapagos-Schildkröte
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Die Insel als Schutzraum: Galapagos-Schildkröte
Viele Autoren des Buches lassen semiotische Ansätze in ihre Texten einfliessen; Fragestellungen, bei denen es darum geht, Zeichen und  Symbolen in jedweder Form in einen Zusammenhang zu bringen und assozative Bedeutungen entschlüsseln.
 
Immer anders als gedacht
 
Ausgangspunkt aller Betrachtungen ist, dass Inseln im Gegensatz zum Kontinent klar definierte Grenzen haben und schwer  zu erreichen sind. Durch diese beiden Prämissen wird die Sichtweise der Aussenstehenden wie das Leben der Insulaner entscheidend geprägt. 
 
Während die Insel aus der Ferne betrachtet als ein geheimnisvolles Wunderland erscheint, müssen sich die Insulaner mit der Begrenztheit ihres Lebensumfeldes und der daraus resultierenden Beschränkung der Lebensgestaltung arrangieren.
 
Die Überschaubarkeit und klare definierte Begrenzung der Insel vereinfacht die Orientierung und schnelle Kartographierung.
 
Die Insel erscheint wie ein kleines abgeschlossenes Universum, in dem die menschliche Existenz mit allen ihren Problemen und Möglichkeiten leicht auf ihre Grundzüge reduziert werden kann. 
 
Die Welt als Miniatur-Modell
 
Die Folge ist, dass die Insel oftmals als geistiges und literarisches Experimentierfeld herhalten muss, als Sinnbild eines Lebenraums
mit beschränkten Ressourcen, die bei fehlendem Kontakt zur Aussenwelt nur für bestimmten Zahl von Menschen ausreichen.

Skulpturen-Ensemble
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Skulpturen-Ensemble "Dorothea & Theodora": Die Insel als "Welt"-Spiegel
Aus der Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers ist der Roman “Robinson Crusoe” aus dem 17. Jahrhundert über einen schiffbrüchigen, auf einer Insel gestrandeten englischen Seemann, der auf den eingeborenen Flüchtling “Freitag” trifft, ein Beispiel dafür, dass sich selbst in einer Welt extremer Ressourcenknappheit sehr schnell eine Arbeitsteilung und damit eine Hierachie herausbildet.
 
Auch William Goldings “Lord of the Flies”, wählte die verlassene Insel als Ort der Handlung, um zu zeigen wie bei einer Gruppe gestrandeter Jugendlicher nach und nach die dunklen Seiten ihres Charakters durchbrechen.
 
Da Inseln leicht  kartographisch zu erfassen sind, der Weg dorthin in den vergangenen Jahrhunderten aber immer eine Reise ins Ungewisse darstellte, bieten sie sich als rätselhafter Ort der Handlung für abenteuerliche Erzählungen geradezu an.
 
Masterplan für Romane 
 
Das gilt nicht nur für “Die Schatzinsel”; vielen Romanen zum Thema Abenteuer, selbst dem später opulent verfilmten Mega-Wälzer auf dem Fantasy-Bereich “Herr der Ringe”, liegen Karten bei,  die den Ort der Handlung definieren und eingrenzen.

Johnny Depp als Pirat! Wo? In der (Karibischen) Inselwelt
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Johnny Depp als Pirat! Wo? In der (Karibischen) Inselwelt
Sogar die Sagen der griechischen und römischen Antike kann man zum Teil als Reisebeschreibungen aus entfernten Teilen der damals bekannten Welt betrachten.
 
So gesehen lässt sich die Geschichte des Odysseus als auch ein langandauerndes, mit vielen Hindernissen gespicktes  Insel-Hopping eines Seemanns interpretieren, der auf dem Heimweg noch alle Häfen, in denen er eine Geliebte hat abklappert.
 
Seemannsgarn gehört dazu
 
 
Das Geheimnisvolle und Ferne, dass Inseln umgibt ist natürlich auch eine unerschöpfliche Quelle für Seemannsgarn. 
 
Die Insellabyrinthe der Karibik boten den Piraten der Kolonialzeit schwer auffindbare Verstecke. 
 
Selbst Kolumbus landete bei der Entdeckung Amerikas nur auf Inseln.
 
Das notwendige Geld für die Entdeckung trieb er dadurch auf, dass er dem spanischen Königspaar vom Reichtum ferner Länder vorschwärmte, die er selbst nie gesehen hatte. 
 
Er war bei weitem nicht der Einzige, der Adel, Klerus und Monarchie tolle Geschichten auftischte und sich auf diese Weise seinen Lebensunterhalt verdiente. 
 
Schauermärchen als Lebensunterhalt 
 
Im London des 18. Jahrhundert Briten erzählte ein vermeintlicher Schiffbrüchiger Schauermärchen von japanischen Reichen. 

Odysseus: Der antike Insel-Mythos schlechthin
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Odysseus: Der antike Insel-Mythos schlechthin
Sie befanden sich angeblich auf der heutigen Insel Taiwan, wo den Göttern Kinderopfer dargebracht wurden. 
 
Seine auch als Buch unters Volk gebrachten Behauptungen wurden von seinen Zeitgenossen im Laufe der Jahre immer mehr angezweifelt, auch weil der Autor sich mehr und mehr in Widersprüche verstrickte.
 
Nur: überführt werden kommte der Schwindler nicht so richtig, denn Taiwan war eine Weltreise entfernt und bis zur Erfindung der Fotografie sollte noch mehr als hundert Jahre dauern.
 
Die Unzuverlässugkeit der Quellen erleichtert natürlich auch die Legendenbildung. 
 
Mythen-Bildung leicht gemacht 
 
In Bezug auf die Kanaren werden häufig die Bilder der “Glücklichen Inseln”, “Atlantis”
oder der “Gärten des Heperides” benutzt.

Die Insel: Auch heute noch Magnet für Glücksritter und Stranddiebe
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Die Insel: Auch heute noch Magnet für Glücksritter und Stranddiebe
Es handelt sich dabei um Beschreibungen, die auf die griechische Mythlogie und die Geschichtschreibung im Rom des ersten nachchristlichen Jahrhunderts  zurückgehen.
 
Es  sind Sinnbilder für Orte ausserhalb der damals bekannten Welt des Mittelmeerraums sind. 
 
Das geheimnisvolle, was die Insel aufgrund der Jahrtausende hindurch nur sehr beschränkten  Kenntnis des Menschen vom Planeten Erde umgibt, ist auch der Grund dafür, warum Wünsche und Träume oft mit dem Bild der Insel versehen werden.
 
Das aus dem Altgriechischen stammende Wort “Utopie” bedeutet wörtlich übersetzt “Nicht-Örtlichkeit”.
 
Man könnte genauso gut sagen, dass es sich um einen Ort handelt, der so weit weg ist, dass man ihn nicht sehen und vermutlich unmöglich erreichen kann.
 
Das meinte zumindest vor einigen Jahrhunderten der  britische  Politiker Thomas Morus.
 
Er begann in der Folge, Zukunftvisionen nicht mehr zeitlich sondern räumlich zu betrachten. 
 
Ganz weit weg statt unerreichbar
 
Die Wunschvorstellung war für Morus kein Traum mehr, den es umzusetzen galt. 

Fabelwesen
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Fabelwesen "Duculli": Versuch der Selbstzerstörung ohne Plan und Weitblick
Sie war für ihn etwas, das auf einer weit entfernten unbekannten Insel am Ende der  Welt bereits Lebensrealität war. 
 
So gesehen sind die Science Fiction- und Fantasy-Filme von heute nichts anderes als triviale Geschichten von Schatzrittern auf der Suche nach der verheissungsvollen Insel.
 
Nur, dass es sich beim Meer um den Weltraum handelt und die Orte der  Glückseligkeit noch ein wenig weiter entfernt sind, als es die Inseln im Ozean für die Seeleute früherer Jahrhunderte einst waren.
 
Die Insel als  Kreativtätskonzept
 
Die Insel als fremdartiger, weitentfernter in sich geschlossener Kosmos, war und ist einen Thema in allen Bereichen der Kunst. 

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"Avatar": Das Insel-Epos als Sternen-Spektakel
Das Multimedia-Werk “The Islanders” Charles Avery etwa, komponiert aus Text,  Bildern und Installation die Insel als eine in geschlossene Welt mit eigenen Regeln, die zum Teil durch auch noch durch fremdartigen Wesen bevölkert wird.
 
Da gibt es den “Ducculli” ein hundeähnliches Wesen ohne Kopf dessen durch einen  Hals verbunden beiden Körper ständig damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu attakieren.
 
Doch die Abgeschiedenheit weit entfernter Inseln bietet sich nicht nur als Spielwiese für abgedrehte Visionen und schtriller Vorstellungen an,  sie hat auch einen bewahrenden Charakter. 
 
Schutzzone für Urwesen 
 
Das erkannte bereits der Gründer der “Revista de Occidente”, José Ortega y Gasset, vor einem knappen Jahrhundert, als er mit Bekannten die Galapagos-Inseln erkundete.
 
Die unberührte Inselwelt, beeindruckte ihn tief.

Nicht nur im Kino, auch auf den Galapagosseln versprüht die Urzeit Fantasy-Flair
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Nicht nur im Kino, auch auf den Galapagosseln versprüht die Urzeit Fantasy-Flair
Voller voller Staunen betrachtete er auf den weit vor den Küsten Südamerikas liegenden Pazifik-Inseln saurierartige Reptilienarten, die offensichtlich alle Katastrophen vorangegangener Millionen von Jahren unbeschadet überstanden hatten. 
 
Doch auch in anderen Ländern fühlten sich Dichter und Denker von Realität und Mythos der Inseln angezogen.
 
Etwa zeitgleich mit Ortega y Gasset widmete sich der deutsche Dichter Rainer Maria Rike im Rahmen seiner Reihe “Neue Gedichte” den von der Gischt umtosten, legenden- und mythenbehafteten Landeinsprengseln in den den unendlichen Weiten der Wasserwüsten des Planeten wie folgt:

“Die Insel”

Nordsee

    I

Die nächste Flut verwischt den Weg im Watt,
und alles wird auf allen Seiten gleich;
die kleine Insel draußen aber hat
die Augen zu; verwirrend kreist der Deich


um ihre Wohner, die in einen Schlaf
geboren werden, drin sie viele Welten
verwechseln, schweigend; denn sie reden selten,
und jeder Satz ist wie ein Epitaph


für etwas Angeschwemmtes, Unbekanntes,
das unerklärt zu ihnen kommt und bleibt.
Und so ist alles was ihr Blick beschreibt
von Kindheit an: nicht auf sie Angewandtes,
zu Großes, Rücksichtsloses, Hergesandtes,
das ihre Einsamkeit noch übertreibt.



     II

Als läge er in einem Krater-Kreise
auf einem Mond: ist jeder Hof umdämmt,
und drin die Gärten sind auf gleiche Weise
gekleidet und wie Waisen gleich gekämmt


von jenem Sturm, der sie so rauh erzieht
und tagelang sie bange macht mit Toden.
Dann sitzt man in den Häusern drin und sieht
in schiefen Spiegeln was auf den Kommoden


Seltsames steht. Und einer von den Sühnen
tritt abends vor die Tür und zieht ein Tönen
aus der Harmonika wie Weinen weich;


so hörte ers in einem fremden Hafen -.
Und draußen formt sich eines von den Schafen
ganz groß, fast drohend, auf dem Außendeich.



     III

Nah ist nur Innres; alles andre fern.
Und dieses Innere gedrängt und täglich
mit allem überfüllt und ganz unsäglich.
Die Insel ist wie ein zu kleiner Stern


welchen der Raum nicht merkt und stumm zerstört
in seinem unbewußten Furchtbarsein,
so daß er, unerhellt und überhört,
allein


damit dies alles doch ein Ende nehme
dunkel auf einer selbsterfundnen Bahn
versucht zu gehen, blindlings, nicht im Plan
der Wandelsterne, Sonnen und Systeme
.

Aus: Neue Gedichte (1907)