Teneriffa      La Palma      La Gomera      El Hierro


Murga-Chöre schallen über den Dächern von Santa Cruz

Bänkelgesang im Stadion

Platz 2 ging an
© tenpan
Vergrößern
Platz 2 ging an "La Traviata"
27.02.2011 - Teneriffa - Der Karneval auf Teneriffa hat begonnen. Erster Höhepunkt war das Finale der Murga-Sangesgruppen im Stadion der Inselhauptstadt. 20.000 Fans feierten den Wettbewerb der Spottsänger euphorisch und sorgten für Hochstimmung. Das schaffen die lokalen Zweitliga-Fussballer mit ihrem meist unterirdischen Kick derzeit nicht.

Hochstimmung im weiten Rund
 © tpew
Vergrößern
Hochstimmung im weiten Rund
Bereits hundert Meter von der schüsselartigen Fussballarena entfernt erschütterten die Chöre der mitgliederstarken Sangesgruppen den Nachthimmel von Santa Cruz.
 
Murgas, das sind kanarische Bänkelsängervereinigungen mit vierzig und 90 Mitgliedern.
 
Die meisten von ihnen singen mit voller Inbrunst und füllen die Pausen zwischen den Strophen mit schrägen Tönen aus dem meist weissen, trompetenähnlichen Kornett.
 
Ein weiteres knappes Dutzend ist in der in der Regel am rechten Fühnenrand postierten Begleitband Band aktiv und bedient Bass, Piano, E-Gitarre und unterschiedlich bestücktes Schlagwerk. 
 
 
Der Dirigent wacht über alles 
 
Meist sind die Musiker ausserhalb des Karnevals in Combos aktiv, deren Repertoire himmelweit vom Murga-Sound enrfernt ist. 

Aus vollem Hals:
 © tenpan
Vergrößern
Aus vollem Hals: "Diablos Locos"
Jede „Murga“ wird von einem Dirigenten geleitet, der beim Auftritt gestikulierend vor den Reihen der Musiker auf und abhüpft, und dabei sowohl seine Schützlinge anleiten als auch das Publikum animieren will.
 
Das sieht meist lustig aus, doch ist der Dirigent keine Art Pausenclown. Nein,  er organisiert den Auftritt von meist mehr als fünfzig Männern – oder seit rund zehn Jahren auch Frauen - , die ihren halbstündigen Auftritt ein knappes halbes Jahr lang einstudieren und vom vorhergehenden Dezember an täglich proben. 
 
Der berühmteste Murga-Dirigent war Enrique González Bethencourt, der im vergangenen Jahr verstarb. Darum wurde ihm der diesjährige Carnaval gewidmet. 
 
Sein Konterfei ziert die Plakate, Bühnendekoration und Programmhefte. Seine Ehrung war Bestandteil des Programms zahlreicher Carnavalsgruppen. 
 
Beim Murga-Wettbewerb zierte eine kleine Büste neben den Monitoren die Bühne. Eine Statue im zentral gelegenen Park Plaza de Principes un Teneriffas Inselhauptstadt wird in Kürze errichtet. 
 
 
Institution "Ni Fú Ni Fá"
 
Das überrascht nicht, denn die kanarische Murga hat auch südamerikanische Musikformen beeinflusst.

Ob Judo oder Tennis: Spott zum weissen Sport
 © tenpan
Vergrößern
Ob Judo oder Tennis: Spott zum weissen Sport
Enrique González begann Anfang der fünfziger Jahre in einer Sangesgruppe, aus der vor einem halben Jahrhundert die legendäre Formation „Ni Fú Ni Fá“ hervorging, die Urmutter aller Murgas. 
 
Nach dieser ältesten existierenden Gruppe ist eine Strasse im Kneipenviertel  La Noria in Santa Cruz benannt, wo ein Grossteil der Hauptstadt-Murgas ihren Übungsraum hat.
 
Als eine Art Elder Stateman des Bänkelgesangs treten „Ni Fú Ni Fá“ während des Karnevals zu bestimmten Anlässen auf.
 
An den Wettbewerben beteiligen sie sich nicht mehr. Es gibt Murga-Wettbewerbe in verschiedenen Gemeinden Teneriffas. 
 
Der wichtigste von ihnen findet natürlich in der Inselhauptstadt statt. Auf drei Vorausscheidungen folgt das Finale. 
 
 
Finale erstmals im Stadion
 
Auf Wunsch der Murgas fand es in diesem Jahr erstmals im Fussballstadion Helidoro Rodríguez Lopéz statt. 

Männergesang neben der Büste des Murga-Mentors
 © tenpan
Vergrößern
Männergesang neben der Büste des Murga-Mentors
Zwar bot die Arena 20.000 Zuschauern Platz, doch die Sicht auf den hinteren Rängen war eher mies.
 
Verglichen mit einer Halle kommt dem exakten Funktionieren der Bühnentechnik und Lautsprecher eine wichtige Rolle zu, zumal die Texte der Darbierungen immens wichtig sind. 
 
Auch die grössere Ferne zwischen Akteur und Publikum wurde kritisiert. Der Stimmung im weiten Rund des Stadions taten die Kritikpunkte keinen Abbruch. 
 
Doch die „murga“ ist eine Kunstform. Daher sind die Aktiven mit geradezu tierischem Ernst bei der Sache, zumal sie auch viel Geld investieren, etwa in ihre farbenfrohen Auftrittskleidung. 
 
 
Strenges Reglement
 
Der Ablauf der Wettbewerben ist in detaillierten Regelwerken festgehalten. Es gibt zahlreiche Bewertungskriterien und Preise unterschiedlicher Katregorien, etwa für den Text, die Kostüme oder die Musik. 

Auftritt gegen die Uhr: Überziehen des Zeitlimits mindert Sieges-Chance
 © tenpan
Vergrößern
Auftritt gegen die Uhr: Überziehen des Zeitlimits mindert Sieges-Chance
Der wichtigste Preis wird für die Interpretación, also die Darbietung als solche verliehen. 
 
Während ihres von Kostümwechseln und schauspielerischen Einlagen geprägten Auftritts, der die Dauer von 30 Minuten nicht überschreiten darf,  tragen die Sangesgruppen zwei Stücke vor, bei denen sie in der Regel die Lokalpolitik ins Visier nehmen. 
 
Da bot das Rathaus von Teneriffas Inselhauptstadt in der vergangenen Legislaturperode reichhaltig Stoff. Der Unterhaltungswert für den Zeitungsleser war sehr hoch, der Nutzen für den Bürger oftmals eher zweifelhaft. 
 
 
Politik und Alltag
 
Doch auch gut illustrierbare Alltagsthemen finden in den Liederfundus Einlass: Etwa die inmmense Zunnahme des Autoverkehrs auf der Insel und die damit verbundenen  Staus, oder Spottverse über den weissen Sport, worunter unter anderem Tennis, Judo und die brasilianische Kunsttanzform Capoeira zu verstehen sind. 

Teneriffa: 750.000 KFZ für knapp eine Million Einwohner. Das ist reicht für ein Spott-Lied
 © tenpan
Vergrößern
Teneriffa: 750.000 KFZ für knapp eine Million Einwohner. Das ist reicht für ein Spott-Lied
Wohl auch aufgrund des Stadionrahmens gewannen in diesem Jahr die eher auf Klamauk spezialisierten „Diablos Locos“  dank eines grossen Finales mit zahlreichen Showeinlagen vor den favorisierten, scharfzüngig-textorientierten „Los Bambones“, deren Gesang bei weiten Teilen ihres Auftritts, warum auch immer, nicht in der erforderlichen Qualität aus den Boxen schallte.