Karnevalsgeschichte in epischer BreiteGala Retrospectiva | | © tenpan | | Momente voller Rührung | 13.03.2011 - Teneriffa - Die Gala zur Wahl der Königin des Carnavals ist Höhepunkt der karnevalistischen Ausscheidungen und Wettbewerbe auf Teneriffa. Sie bildet den Auftakt des Strassenkarnevals, der von farbenfrohen Umzügen und durchgefeierten Nächten geprägt wird. In diesem Jahr war alles ein wenig anders als sonst. Das lag am Motto unter dem die närrische Zeit stand. Und der Ebbe in den kommunalen Kassen der Inselhauptstadt.
| | © tenpan | | Konfetti-Regen in der Halle | Wer kein Geld zum Feiern hat, feiert am besten sich selbst. So liesse sich das Fazit der Gala zur diesjährigen Wahl der Karnevalskönigin in einem Satz auf den Punkt bringen. Bombenstimmung in der Halle, Langeweile vor dem heimischen Fernsehscfhirm. Was war die Ursache? Das Leben des im vergangenen Jahr verstorbenen „Vater aller Murgas“, Enrique Gonzalez Bethencourth war der thematische Leitfaden des Abends, anhand dessen die Geschichte des tinerfenischen Karnevals in 90 Minuten aufgerollt wurde. Fest auf Sparflamme Darum konnte, die klammen Stadtkassen von Teneriffas Inselhauptstadt wussten es zu danken, auf kostspielige Stars und Bühnenaufbauten verzichtet werden.
| | © tenpan | | Erstmals in einer Halle: Die Beerdigung der Sardine |
Murga-Chöre, Comparsa-Tanzgruppen und Rondalla-Kapellen in allen Alterstufen marschierten auf die Bühne und über die vorgelagerte Rampe durch die Zuschauerreihen hinweg. Karnevalsgruppen aller Inseln hatten Abordnungen ins Messezentrum „Recinto Ferial“ in Santa Cruz geschickt. Die Entstehung der bedeutendsten Karnevalsveranstaltungen wurde nachgestellt, etwa das Aschemittwochs-Ritual „Beerdigung der Sardine“. Verbrennung der Sardine Seit rund drei Jahrzehnten ist die inszenierte Fischverbrennung fester Bestandteil des Carnavals. Es handelt sich dabei um einen Umzug durch die Strassen der Hauptstadt, bei dem alle Teilnehmer ganz in Schwarz gekleidet, als trauernde Witwen von den tollen Tagen Abschied nehmen.
| | © tenpan | | Gala mit fast religiösem Flair |
Am Ende des rund drei Kilometer langen Umzuges wird ein riesiger Pappmacheefische, der dem Umzug vorangeht in Nähe der zentralen Plaza de España angezündet. Ähnliche Rituale, wenn auch manchmal etwas anders benannt, gibt in vielen Gemeinden. Ganz besonders pintoresk geht es dabei vor der Kulisse des geschichtsträchtigen Fischerhafens von Puerto de la Cruz zu. Die Verbrennung der Sardine nimmt Bezug auf die folgende Fastenzeit und geht, historisch betrachtet, in das späte Mittelalter zurück. Damals wurde in der vorösterlichen Zeit am spanische Hofe statt „unreinem“ Fleisch von Rind, Schwein oder Huhn nur der purifiziernde Fisch verzehrt. Da das Meeresgetier, wenn es zu lange oder nicht fachgerecht gelagert wird, anfängt zu stinken, wurden gammlige Vorräte verbrannt. Aufmarsch der Originale Die Sardineninszenierung zählte zu den bewegendsten Momenten des Spektakels, bei dem auch die wichtigsten Persönlichkeiten der Karnevalsumzüge über die Bühne flanierten; Karnevalisten, die in ihren Verkleidungen zum Teil seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil des hauptstädtischen Carnaval auf Teneriffa sind.
| | © tfp | | Die Halle als Lichtermeer |
Etwa „Fidel Castro“, Charlie Chaplins „Tramp“, „Harpo Marx“ und, seit einigen Jahren, der Mann der als „Brautpaar“ unterwegs ist: Die rechte Hälfte bilden Zylinder und schwarzer Frack, die rechte – ganz in Weiss – Brautkleid – und Schleier. Natürlich hat sich die Narrenzeit im Lauf der Jahrzehnte stark gewandelt. Das wurde anhand des Duells zwischen dem Bänkelsänger aus dem vorigen Jahrhundert und dem „murgero“ von heute verdeutlicht. Die Texte sind länger, die Arrangements komplexer, die Kostüme verspielter und aufwendiger geworden. Da Komik sich in den meisten Fällen auf Tragik gründet, wurde auch ein wenig auf die Tránendrüse gedrückt. So zauberte ein Magier in einer Wiederauferstehungszeremonie den verblichenen Murga-Vater Enrique herbei, der, eskortiert von zwei Kindern, voller Rührung einem Auftritt des ihm vor mehr als einem halben Jahrhundert begründeten „Nu Fú Ni Fá“-Chors im treibenden Kunstschnee beiwohnt. Szenen dieser Art verliehen der Inszenierung einen quasi-religiösen Charakter, liessen als Messe eines auf Schabernack basierenden Glaubens erscheinen. Der wichtigste Mitwirkende: Das Publikum Carnaval ist ein Volksfest für alle Schichten. Darum wurde auch das Publikum in die Inszenierung miteinbezogen.
| | © tenpan | | Aufmarsch der Karnevalsgruppen |
Clowns mit Pauken zogen durch die Sitzreihen, kostümierte Karnevalisten in den Gängen zwischen den Stuhlreihen animierten das Pubilkum und verteilten Wunderkerzen, die den Zuschauerraum in ein prickelndes Lichtermeer verwandelten. Auch dichte Konfettischauer über den Köpfen des Publikums fehlten nicht. Das Publikum in der Halle war begeistert. Es gab zahlreichen Szenenapplaus. Kein Wunder, sassen doch auf den Rängen zu weiten Teilen Verwandete, Freunde und Familienmitglieder der Akteure auf der Bühne. Live ist LIVE Genau dass ist auch die Krux der Veranstaltung: Was die Menschen live vor Begeisterung zum Toben bringt, lässt sich nicht un gleichen Masse auf dem Fernsehbildschirm wiedergeben.
| | © tenpan | | "Reina"-Kandidatin vor dem Auftritt |
Besser gesagt: Wer live dabei war, erkennt die Verantstaltung in der von Naheinstellungen und Grossaufnahmen dominierten Fernsehübertragung, die in der Folgeszeiten als Wiederholungvon vielen der zahlreichen lokalen Fernsehsender ausgestrahlt wird, nicht wieder. Dieser Unterschied war in diesem Jahr ganz besonders extrem. Auf dem Bildschirm marschierten Sangesgruppen auf und ab, Requisiten gab es kaum, was die Veranstaltung sehr kostengünstig machte. Einzig ein flacher quadratischer Wagen mit überdimensionalen Trompeten zierte die Bühnenmitte. Um zum Auftakt der Gala, in bläulichen Nebel gehüllt, weggerollt zu werden. Schnelle Bilderfolgen fürs Fernsehen Bildregie und Kameraleute waren auf ständiger Jagd nach neuen Grossaufnahmen der Akteure, da Panoramabilder der Bühne bei musikalischen Darbietungen bei den Zuschauer in der heutigen, von Reizüberflutung geprägten Welt ab einem gewissen Zeitpunkt Ermüdungserscheinungen hervorrufen.
| | © tenpan | | Aufmarsch der Karnevalsgruppen unter dem Bild des Schirmherrn |
Während in der Halle die Grossleinwand, auf der das Leben des Murga-Vaters abgerollt wurde, ein Element unter vielen war, wurden auf dem Fernsehbildschirm die gleichen Bilder in einer Spalte neben dem Live-Geschehen eingeblendet. Sprecher spulten dazu ihren Text ab, was der karnevalistischen Übertragung einen Hauch von Schulfernsehen, Thema „Neuere Geschichte“, verlieh. Die Königin als Nebensache Auch das eigentliche Thema der Veranstaltung, die Wahl der Karnevalskönigin wurde aufgrund der anderthalbstündigen Selbstinszenierung der Karnevalsgruppen zur Rahmenhandlung degradiert.
| | © tenpan | | Animateur mit Publikum |
Natürlich gewann wieder eine klassisch gehaltene „fantasía“ anstatt des kühnen Entwurfs. Allerdings nur sehr knapp. Die handwerklich hervorragende Feder- und Stofforgie, deren Schirmherr die Tageszeitung „El Día“ war, landete vor der Tracht der hiesigen Strassenbahn. Die „Metropolitana Tenerife“ setzte auf eine vom Musical "Cabaret" inspirierte Inszenierung mit Tänzer, bei der die Kandidatin nicht nur Staffage war, sondern auch tänzerisch gefordert wurde. Während die Mehrheit der Jury dafür die Höchstnote vergab, löste die Präsentation beim eher traditionell orientierten Teil des Gremiums Befremden aus. Doch wen interessiert das später, noch wenn in der folgenden Woche alle Nächte durchgefeiert werden.
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