Teneriffa      La Palma      La Gomera      El Hierro


Metall-Kunst in Teneriffas Hauptstadt

Silberschimmernde Skulpturen-Stadt

Skulptur
© tenpan
Vergrößern
Skulptur "La Llamada"
21.03.2010 - Teneriffa - Die Stadt als Wohnung. Bänke, Denkmäler und Telefonzellen als Möbel. Das ist eine gängige stadplanerische Sichtweise. Kürzlich stellte der Bildhauer Julio Nieto einen Teil seiner Metallstatuen in der belebten Innenstadt von Santa Cruz aus. Es war der erste Akt einer Wanderausstellung, die viele Gemeinden Teneriffas und La Palmas mit einbezieht. Es ist nicht nur der Versuch die Reaktionen der Passanten auf ein ungewöhnliches urbanes Mobiliar zu erkunden, sondern auch die Wiederbelebung eines alten Konzeptes im Spannungsfeld von Stadt und Kunst: Nicht nur vielen deutschen Städte, auch in Santa Cruz gab es vor gut vier Jahrzehnten ein Aktionsprogramm “Kunst im öffentlichen Raum” um mit der Aufstellung ungewöhnlicher Skulpturen Erscheinungsbild des städtischen Molochs aufzulockern.

Der verliebte Akrobat
 © tenpan
Vergrößern
Der verliebte Akrobat
Die Strasse Calle Valentin Sanz ist eine der Hauptverkehrachsen der Innenstadt von Santa Cruz.
 
Sie beginnt hinter der der Brücke “General Serrador”, die von der Markthalle “Nuestra Señora de África”  kommend
über den zentralen Barranco Santos und die Calle Noria, nächtliche Flaniermeile und Sitz vieler Karnevalsvereine, hinweg zum Zentrum der Inselhauptstadt führt.
 
Auf ihren ersten Metern gewährt die nach einem naturalistischen Maler benannte Strasse einen  kurzen Blick auf den Zugang zur geschichtsträchtigen Plaza de Madera und auf die Rückseite der neben dem Teatro Guimerá stehenden Kunsthalle Recova, den Gebäudeteil, in dem das städtischen Kulturamt untergebracht ist.
 
Im weiteren Verlauf überquert die Calle Valentin Sanz die Schienen der Strassenbahn und führt durch den Trubel der Einkaufsstrasse Calle Castillo hindurch zur Plaza los Principes de Asturias,  einen geräumigen mit Betonplatten bedeckten Platz und wichtige Schnittstelle im im innerstädtischen Wegenetz, die von Bürogebäuden umrahmt wird. 
 
Farbtupfer im Geschäftsviertel
 
Blickfang des nach dem spanischen Kronprinzenpaares benannten Platzes ist der Zugang zu einem eingefriedter Park, dessen Mittelpunkt ein von mächtigen Wachholderbäumen umsäumter Pavillon ist. 

Ein
 © tenpan
Vergrößern
Ein "Reisender" als Hindernis
Einst diente die Anlage den Mönchen des angrenzenden tiefergelegenen Klosters San Francisco als Flaniergarten, heute finden hier Kunst- und Handwerksmärkte statt.
 
In den Bars und Restaurants in der Nachbarschaft frühstücken vormittags Geschäftsleuten auf dem Weg zur Arbeit, der sie beispielsweise etwa in die Calle Pilar, hinter dem Taxi-Stand führt, wo Anwälte und Notare, Immobilienmakler, Versicherungen und Werbeagenturen ihren Sitz haben. 
 
Nur einen Katzensprung entfernt sticht die museumsartig konzipierte Zentrale der kanarischen Sparkasse Caja de Ahorros de Canarias (CajaCanarias) hervor.
 
Eher protzig grob präsentiert sich das angrenzende Einkaufszentrum Bulevar. 
 
Dort zahlte die Stadtverwaltung über Jahre hinweg  teure Mieten für leerstehende Büroräume, da die Verantwortlichen nach Abschluss eines langjährigen Mietvertrages feststellen mussten, dass es anscheinend doch keine Verwendung für die hinzugemieteten räumlichen Kapazitäten gab. 
 
Skulpturen Meile
 
Auf diesem von Hektik geprägten Platz, den viele Passanten schnell und zielstrebig durchqueren, hat der Bildhauer und Metallkünstler Julio Nieto seine silberglänzenden Metallskulpturen aufgestellt. 

Skulptur
 © tpew
Vergrößern
Skulptur "Llamada": Ein Aufschrei in der schnelllebigen Stadtlandschaft
"Enamorado”, den “Verlobten”, etwa, eine akrobatähnliche knapp zwei Meter hohe Figur, die auf einem, rostfarbenen Podest steil in Himmel ragt. Ganz in der Nähe marschiert mit energischem Schritt “Marea”, die “Flut”, eine zweimeterundzwanzig hohe menschenähnliche Statue aus Bronze, sie sich bei näherer Betrachtung als Komposition aus Fischen entpuppt. 
 
Aus der Ferne sieht das Werk dem Denkmal für die wandernden  Fischverkäuferinnen von einst  im Hafen des Touristenortes Puerto de la Cruz zum Verwechseln ähnlich.
 
Kein Wunder: Auch die Hommage an die Fischerfrauen vergangener Epochen stammt von Julio Nieto; eine Auftragsarbeit des dortigen Rathauses, geschaffen von einem Mann, der seine künstlerischen Träume unter anderem damit finanziert, dass er individuell gefertigten Toren und Möbeln seinen ganz persönlichen Stempel aufdrückt.
 
Natürlich darf bei der Strassenaktion auch der gefallene Engel mit den Früchten im Kopf nicht fehlen, der abgestürzte Himmelsbote, der sich den Kopf darüber zerbricht, warum gerade er aus dem Himmel geworfen wurde.
 
Reisende, Rufe und Raubkatzen
 
Oder “Alicia”, die echt fies guckende Raubkatze, zwei Meter lang und bis zur aufgerichteten Schwanzspitze stolze 160 Zemtimeter hoch.

Warum ich? Der gefallene Engel: Raus aus dem Himmel und hinein in die Fussgängerzone
 © tenpan
Vergrößern
Warum ich? Der gefallene Engel: Raus aus dem Himmel und hinein in die Fussgängerzone
Zerbrechlich fragil, aber trotzdem raumgreifend präsentiert sich hingegen die Frauengestalt “Llamada”, der “Ruf”, eine gewundene Wassernixe mit Schwanzflosse und fast fünf Meter hohem Spiess, die eine Grundfläche von fast zehn Quadrarmetern beansprucht.
 
Der “Reisende”, auf spanisch “viajero”,  mit der Erdkugel als Auge und breit wie Radweg, bildet für die Passanten ein Hindernis wie andernorts ein Oxer beim Springreiten.
 
Neben jeder Figur befindet sich ein an einer langen Kette befestigter Digitalfotoapparat, damit sich die Betrachter zusammen mit der Figur ablichten können.
 
Auf diese Weise soll eine Fotoserie mit Porträts entstehen, die einen Einblick in die Wahrnehmung des Publikums gibt. 
 
Massstäbe verschwimmen 
 
Ein entscheidendes Moment dabei ist die Dimension von Objekt und städtischer Kulisse.
 
Hat man die Arbeiten von Julio Nieto zuvor in einem anderen Umfeld, etwa im Atelier des Künstlers gesehen, so fällt vor allem eins ins Auge: Die Stadt ist ein alles verschluckender Moloch.

Echt fies: Raubkatze
 © tenpan
Vergrößern
Echt fies: Raubkatze "Alicia" über neugierigen Betrachtern mit Digitalkamara
Sogar die nicht gerade klein geratenen glitzernden Metall-Exponate drohen im geschäftigen Trubel der Grossstadt unterzugehen.
 
Die Vielfalt und Masse der Reize und Einflüsse, die omnipräsente Flut der vorbeirauschenden Bild- und Tonfragmente schwappt über die durch die Stadlandschaft hindurchströmenden Menschen ohne das irgendetwas einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
 
Es ist ein kein neues Phänomen. Bereits vor vierzig Jahren sahen Künstler und Stadtplaner vor dem Hintergrund der einsetzenden und sich immer weiter ausbreitenden Beton- und Fertigteilbauweise die Gefahr einer gesichtslosen Grossstadt, die alles in sich verschlingt.
 
Skulpturen als Wegweiser 
 
Anfang der siebziger Jahre wurde die Aktion “Kunst im öffentlichen Raum” ins Leben gerufen. 

Die Frau als Flut:  Meeresfrüchtehändlerin als Komposition aus Fisch
 © tenpan
Vergrößern
Die Frau als Flut: Meeresfrüchtehändlerin als Komposition aus Fisch
Ziel war es, mit der Aufstellung von Skulpturen grossformatige Zeichen als Wegweiser und Orientierungspunkte in einer zumeist aus Stein und Betonquadern bestehenden Stadtlandschaft zu setzen.
 
Teneriffas stumme Zeugen  dieser Initiative aus dem Jahr 1973 sind unter anderem die Skulptur von Henry Moore in der zentralen Rambla General Franco und verschiedene Betonobjekte im Stadtpark Sanabria Garcia.
 
Einer der Wegbereiter des damaligen Projektes war Eduard Westerdahl, ein spanienweit bekannter auf Teneriffa ansässiger Künstler und Kunstkritiker der sich zuvor als Prophet des Surrealismus einen Namen gemacht hatte.
 
Auch Julio Nieto hat seine Skulturen-Meile nicht als einmaliges Projekt konzipiert. Andere Kïnstler wollen und sollen an gleicher Stelle in Zukunft ihre Werke zur Schau stellen. 
 
Die Arbeiten von Julio Nieto hingegen begeben sich auf Wanderschaft. Vom 8. bis 18 April sind sie in Granadilla zu sehen, vom 19. bis zum 30. April in Vilaflor, vom 7. bis 18. Mai in Los Llanos de Ariadane auf La Palma, vom 19. bis 31. Mai in Icod de los Vinos, vom 22. Juli bis 1. August in Garachico, vom 3. bis 14. August in Los Silos und vom 15. bis zum 30. August in La Victoria.
 
Weitere Informationen zu Julio Nieto: www.teneriffa-panorama.es, Rubrik KULTUR: "Kunstwerke mit Schweissgerät"


und www.julionieto.com